Es wird Mai:
Wonnemonat mit Maibaum und Maibowle. Die einen tanzen in den Mai. Die anderen sagen, er sei das Tor zum Sommer und machen ihn zum Monat der Erwartungen, der Wünsche und der Hoffnung. Manche pflücken Maiglöckchen.
Apropos: Wir feiern im Mai in Aumühle und in Wohltorf unsere Konfirmationen, und vielleicht werden dabei auch die Maiglöckchen wieder ihre Paraderolle als traditioneller Blumenschmuck spielen, am Revers oder als Sträußchen in der Hand.
42 Konfis sind es in diesem Jahr. Das sind viele. Aber wir freuen uns nicht nur über die Zahl, sondern vor allem über die gemeinsam verbrachte Zeit: Tablequiz, Ausflüge zum Mister X spielen und zur Bahnhofsmission nach Hamburg, einmal in der Kirche schlafen, ein Wochenende im Schloss Dreilützow, angeregte Diskussionen über das Glaubensbekenntnis, über das Leben, über den Tod, Matratzendomino und Tanzen zum Lied vom „roten Pferd: Liebe Konfis, ihr wart immer für eine Überraschung gut. Es war toll mit Euch. Danke! Nun geht unsere Konfizeit zu Ende und wir sammeln eure Konfirmationssprüche, die wir euch beim Segen zusprechen wollen. Besonders einer steht dabei hoch im Kurs. Nach meinem Eindruck erfreut er sich in jedem Jahr stetig wachsender Beliebtheit:
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Der Satz steht im Römerbrief, Kapitel 12. Bald wird er auch wieder in vielen Tauf- und Konfirmationsurkunden stehen.
Ich habe mich gefragt, woran das liegt. Ein Grund könnte sein, dass das Wort „Gott“ nicht darin vorkommt. Ich vermute, das macht den Satz für so manche und so manchen zugänglicher, greifbarer. Vielleicht kann man sagen: Es macht ihn „alltagstauglich“.
Um Gott geht es dabei trotzdem. Der Apostel Paulus, der den Römerbrief geschrieben hat, referiert an dieser Stelle darüber, wie das Leben eines gläubigen Menschen gestaltet sein sollte: „Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung.“, schreibt er am Anfang des Kapitels. Dann nimmt er das Zusammenleben in der christlichen Gemeinde genauso in den Blick wie das Verhalten gegenüber der sogenannten „Staatsgewalt“ und gegenüber anderen Menschen im Allgemeinen. In diesem letztgenannten Zusammenhang fällt dann der Satz vom Überwinden des Bösen durch das Gute.
Ein zweiter Grund für dessen Beliebtheit könnte sein, dass er gut in unsere Zeit passt. Die Kategorien „Gut“ und „Böse“ bedeuten natürlich eine starke Reduktion der Komplexität der Welt, in der wir leben. Aber ich kann verstehen, dass man sich dieser Vereinfachung hingibt. Man könnte durchaus den Glauben an das Gute im Menschen verlieren, wenn man sich umsieht. Umgekehrt könnte man meinen, dass das „Böse“ mehr und mehr um sich greift, manchmal sogar auf aberwitzige und kaum nachvollziehbare Weise. Umso wichtiger ist es, etwas zu haben, was man diesem „Bösen“ entgegensetzen kann. Das kann manchmal so ein Erinnerungssatz wie der aus Römer 12 sein. Und manchmal ist es ein freier Montag und eine S-Bahn-Fahrt:
Ich war auf dem Weg in die große Stadt, wo ich zum Thema „Punk“ recherchieren wollte. Im Sommer soll es dazu nämlich einen Gottesdienst geben und ich wollte mich kundig machen und mein Halbwissen über die Punk-Szene vertiefen. Ich war also auf dem Weg in die Schanze.
Am Bergedorfer Bahnhof wartete ich auf die S-Bahn. Neben mir fanden sich ein Vater und seine kleine Tochter ein, als ein Mitarbeiter der Bahn mit einem Messrad des Weges kam. Ganz fasziniert von dem ungewöhnlichen Arbeitsgerät wurde er bei seiner Tätigkeit von dem Mädchen beobachtet, das plötzlich ihre Kinderfrage stellte: „Was macht der Mann da?“, sagte sie und schaute ihren Vater an. Der aber kam nicht dazu zu antworten. Stattdessen fragte der Bahnarbeiter: „Willst du auch mal?“, gab ihr das Messrad und zeigte ihr, wie es funktioniert. „Die nächste Strecke kannst du messen!“, sagte er. Das Mädchen zog los. Die folgenden zehn Meter gehörten ihr. Dann kam die Bahn und wir fuhren Richtung Stadt. Die Kleine strahlte noch bis Moorfleet. Mindestens.
Ein so kleiner Moment. Eine so kleine Sache. Aber eine so große Wirkung. Da war es, das Gute, das hoffen lässt und Mut macht. Am Abend beim Essen musste ich davon erzählen. Genauso wie von der Geschichte, die ich am gleichen Tag in der Buchhandlung auf dem Schulterblatt erlebte. Während ich in der Punk-Fachliteratur stöberte, hörte ich, wie ein Mann die Buchhändlerin nach einem Buch über ein juristisches Thema fragte, das ihn offensichtlich persönlich betraf. Ich ahnte, dass er sich normalerweise nicht mit juristischen Texten, Gesetzen und Verordnungen befasste. Und die Buchhändlerin ahnte das wohl auch. Sie empfahl ihm trotzdem ein Buch, nämlich das günstigste, das es zu dem Thema gab. Und dann sagte sie: „Wenn du morgen kommst und dein Buch abholst, dann werde ich nicht im Laden sein. Aber ich lege dir einen Zettel hinein, mit einer Telefonnummer und mit einer Adresse von einem Verein, der dir in deiner Frage weiterhelfen kann. Da kannst Du anrufen. Dann musst du dich nicht allein damit herumschlagen.“ Der Mann verstand erst nicht, was ihm da gerade offeriert wurde. Er hatte sicher nicht damit gerechnet. (Und ich auch nicht.) Also wiederholte sie alles – geduldig und mit einem Lächeln. Dann erst fiel der Groschen.
Der Mann war selig. Und ich dachte an das Wort „Würde“ und an das Gute, das auftaucht wie eine Sternschnuppe in der Nacht und das sich dabei einem System widersetzt, in dem nur noch das Recht des Stärkeren gilt und in dem alle anderen, die nicht stark genug sind, verloren gehen. Vielleicht ist das ja „Punk“, wenigstens eine Spielart davon. Auf jeden Fall aber zeigt es, dass es sich lohnt, weiter auf das Gute zu hoffen und es an den unmöglichsten Orten und Zeiten zu erwarten. Und welcher Monat wäre dafür besser geeignet als der Wonnemonat Mai?!
Ihr Pastor
René Enzenauer