Grußwort Juli
Herr Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
ein Birnbaum in seinem Garten stand.
…
So war das. So schreibt das der Fontane. Es muss ein wunderbarer Birnbaum gewesen sein: groß und mit guten Früchten schwer beladen. Denn immer in der goldenen Herbsteszeit, da leuchteten die Birnen weit und breit. Und wenn es Mittag vom Turme scholl, dann stopfte sich der von Ribbeck beide Taschen voll.
Ich hätte den von Ribbeck gerne gekannt. Er war sicher ein sympathischer Mensch, der freigiebig den Jungs und Dirns von seinen Birnen gab und der sie sogar noch nach seinem Tod auf vorausschauende Weise damit versorgte. Andererseits hätte ich gerne von ihm gewusst, wie man einen Birnbaum dazu bringt, Früchte zu tragen. Es müssten gar nicht so viele sein, dass ich mir jeden Tag meine Taschen damit vollstopfen könnte. Aber ein paar, das wäre doch ganz schön. Der von Ribbeck wusste bestimmt, wie das geht.
Im Pastoratsgarten in Wohltorf steht auch ein Birnbaum, passenderweise eine Williams Christ Birne. Ich habe dieses störrische Gewächs an Pfingsten 2019 geschenkt bekommen. Damals ging meine dreijährige Probedienstzeit zu Ende, der Kirchengemeinderat wählte mich zum Pastor, es gab einen Gottesdienst, einen Segen und ein Fest, und jemand aus meiner Familie brachte diesen Baum mit.
Da ich in floralen Dingen unwissend bin, fragte ich jemanden, der es wissen muss, ob er sich mit mir auf den Weg durch den Garten machen könnte, um einen geeigneten Platz dafür zu finden. Wir tigerten durchs Grüne, kalkulierten den Sonnenlauf, die Heckenhöhe und den Abstand zum Haus und zu den anderen Gehölzen ein. Wir machten es uns wirklich nicht leicht. Irgendwann war der Ort dann gefunden: Ich buddelte, steckte den Baum mit der korrekten Seite nach unten in das Loch, tat wieder Erde dran und goss. „Nun wachse, kleines Bäumchen.“ Sogar als ich im Urlaub und aushäusig war, wurde es von meinem Mitstreiter liebevoll gehegt und gegossen.
Seitdem hoffe ich auf Früchte. Jedes Jahr aufs Neue. Im Internet steht, der Ertrag sei „regelmäßig und groß“, aber ich kann das nicht bestätigen. Auch in diesem Frühjahr war es wieder so wie in den vergangenen Jahren: Der Baum bekommt Blätter. Der Baum bekommt Blüten. Aus den Blüten werden winzige Birnen. Es waren mindestens zehn. Die Freude war groß: „Dieses Jahr wird es gelingen.“ Dann kommen die Frühjahrsstürme. Die Blätter werden vom Winde verweht. Und die meisten kleinen Birnen auch. Er hat jetzt noch zwei. Aber wenn es so wieder so wird wie es bisher war, dann werden diese Birnchen auch noch fallen.
Es ist ein trauriger Anblick, den dieser Baum bietet, so traurig, dass ich schon daran gedacht habe, dem ein Ende zu bereiten. Aber ich bringe es nicht übers Herz. Denn es ist trotz allem ein geschenkter Baum. Er erinnert mich trotz allem an einen wichtigen Moment in meinem Leben, an Freunde und Familie. Ich habe mit ihm ein großes Fest gefeiert. Und er hat trotz allem immer wieder und immer noch Blätter. Jedes Jahr versucht er es neu, mit den Birnen und mit dem Leben. „Wenn das Bäumchen es versucht, sollte ich es daran hindern?!“, frage ich mich.
Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr glaube ich, dass es bei diesem Geschenk inzwischen nicht mehr um die Birnenernte geht. Das Ganze ist eher ein Lehrstück geworden: über das Leben und über die Hoffnung, darüber, wie gut es ist, sie zu haben und wie schwer es ist, sie nicht zu verlieren, letztlich über das, was in Römer 12,12 steht:
Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
„Wer Ohren hat zu hören, der höre.“, denke ich und bin gespannt darauf, was der Herbst in diesem Jahr bringt. Und wenn es dieses Jahr wieder nichts wird, dann gibt es nächstes Jahr – so Gott will – ein Neues.
Ihr Pastor
René Enzenauer